Konstruktive Konfliktvermittlung in der Einwanderungsgesellschaft -
Das Nürnberger „Netzwerk interkulturelle Mediation“

von Marissa Pablo-Dürr und Friedrich Popp

Streitigkeiten zwischen Nachbarn gibt es, seit Menschen in Dörfern und Städten zusammen leben. In der heutigen Großstadt haben wir oft eine Nachbarschaft, die von Menschen unterschiedlichster Herkunft und Muttersprachen zusammengesetzt ist. In den Mietskasernen schreitet die Vereinsamung und Isolierung der Menschen voran. Man spricht kaum miteinander, höchstens vielleicht noch übereinander. Wenn dann noch ein Konflikt über die nicht gemachte Hausordnung, über den nicht getrennten Müll, über den Lärm der Fußball spielenden Kinder oder die zu laute Musik hinzukommt, dann ist ein ungutes Klima vorhanden und die Gefahr der Eskalation nimmt zu. In solchen Fällen bieten wir Mediation als Konfliktvermittlung an.

Die Mediation ist eigentlich eine uralte Angelegenheit. Wir finden Formen der Mediation schon in der Bibel, im Buddhismus oder bei den Aleviten in der Türkei. Bei der Cem-Feier der Aleviten z.B., die als Kultus einmal im Jahr stattfindet, wird die Streitschlichtung vom Dede, dem religiösen Gemeindeoberhaupt, vor der versammelten Gemeinde durchgeführt. Diese Konfliktvermittlung ist ein Bestandteil uralter Riten. Die Ursprünge der modernen Mediation stammen aus den USA.

Wie alles anfing

Der Anstoß zu einer Anlauf- oder Clearingstelle für Konflikte im interkulturellen Bereich kam vom Ausländerbeirat der Stadt Nürnberg. Bekannt war lediglich das erste Stadtteilvermittlungsangebot des Amtes für Multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt. In Nürnberg wurde von Anfang an Wert darauf gelegt, das Projekt auf eine breite institutionelle Basis zu stellen. Bereits Ende 1997 gab es das erste Treffen in der Geschäftsstelle des Ausländerbeirates. Es bedurfte aber einer längeren Diskussion und mehrerer Anläufe, bis die Richtung klar wurde und ein Ausbildungskonzept für interkulturelle Mediation erstellt werden konnte. Von Anfang an erklärte der Allgemeine Sozialdienst der Stadt Nürnberg (ASD) den Bereich eines nachbarschaftlichen Mediationsangebots als eine seiner originären Aufgaben. Ursprünglich war nur an eine Fortbildung für die Kollegen/innen des ASD gedacht. Aber es war klar, dass angesichts der angespannten Finanzlage der Kommune keine neue Personalstelle für Koordinationsaufgaben zu finanzieren wäre. Aus diesem Grund erschien es um so wichtiger, Mitarbeiter/innen des ASD und anderer Dienste mit Mediationskompetenzen im interkulturellen Bereich fortzubilden, um vorhandene Ressourcen ohne größere Investitionen optimal zu bündeln. Nach längerer Diskussion und einem neuen Konzept von Marissa Pablo-Dürr begannen 23 Mitarbeiter/innen des ASD und der Migrationsdienste[*] Ende 2000 eine Fortbildung als interkulturelle Mediatoren/innen. Als Modellprojekt wurde diese 200-stündige Ausbildung vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung finanziell unterstützt. Die Seminarleitung übernahm die damalige Vorsitzende des Bundesverbands Mediation Dr. Benedikta Gräfin v. Deym-Soden. Während der Ausbildung beschäftigten sich die Beteiligten mit Theorie und Methodik der klassischen Mediation, sie übten in wechselnden Rollenspielen die Tandemmediation und diskutierten interkulturelle Fragen in Konfliktsituationen. Seit Mitte 2002 sind nun 23 Mediatoren/innen im Einsatz.

Das Besondere am Nürnberger „Netzwerk interkulturelle Mediation“ sind zwei Dinge: Erstens wird die Mediation grundsätzlich in Zweierteams (Tandems) angeboten, wobei die Besetzung des öfteren variiert. Zweitens sind die Mediatoren/innen beruflich in verschiedenen Institutionen der Kommune und der Migrationsdienste eingebettet. Wenn wir von einer Tandem- oder Zweiermediation sprechen, dann heißt dies, dass jeweils einer der Mediatoren/innen selbst Migrationshintergrund hat, nach Möglichkeit spricht er/sie die gleiche Sprache wie eine der Konfliktparteien. Dabei ist dieser „Muttersprachler“ nicht einfach der Dolmetscher während des Gesprächs, er ist gleichberechtigter interkultureller Mediator. Dahinter steckt der Gedanke, dass es wichtig ist, die Konfliktparteien in ihrem Umfeld „wert“zuschätzen und ernst zu nehmen. Natürlich können wir nur eine beschränkte Anzahl an Sprachen anbieten (v.a. die Hauptsprachen der Zuwanderer aus Süd- und Osteuropa). Es kommt im Wesentlichen mehr auf die emotionale Nähe und Empathie an als alleine auf das Sprachproblem.

Welche Erscheinungsformen können interkulturelle Konflikte annehmen?

Es gibt unseres Erachtens fünf Typologien interkultureller Konflikte:

a)     Konstruktivistische Konflikte: Konflikte als „Schauplätze“
Bei diesen Konflikten dienen ethnisch-kulturelle Zuschreibungen als Projektionsflächen. Diese Zuschreibungen können sowohl von außen kommen als auch auf Eigendefinition beruhen (Fremd- und Selbstethnisierung). Zu hinterfragen ist jeweils, wer die Bezeichnung einer Person als „Türke“, „Russe“ oder „Deutscher“ vornimmt. Gerade Jugendliche - auf der Suche nach Identität - geraten leicht in diese „Ethnofalle“. Auch etliche Wissenschaftler tragen zur Klassifizierung der Menschen in konstruierte Kategorien bei (z.B. die Forschungen nach diversen nationalen ‚Kulturstandards’). Viele Konflikte haben ihren Ursprung in der wahrgenommenen Bedrohung durch „Andere“, denen ein ethnischer Standort zugeschrieben wird. Viele Jugendliche mit Migrationshintergrund definieren sich auf der Suche nach einer Identität und in Folge vieler diskriminierender Erfahrungen ethnisch-kulturell, obwohl sie in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und möglicherweise die Sprache ihrer Eltern nur rudimentär beherrschen. Auch in sog. interethnischen Konflikten (z.B. „Russen“ gegen „Türken“) fungiert die vermeintliche Ethnie als scheinbar gesicherter Identitätsstandort. In so einem Konflikt agieren Konfliktparteien auf der Basis von Vorstellungen und Vorurteilen gegen andere. Die Betroffenen gehen jeweils von der eigenen Lebenslage und ihrer eigenen wahrgenommenen Situationen aus. So betrachtet können Konflikte in interethnischen Settings im Rahmen eines Ringens um Sicherung der eigenen konstruierten Lebenswelt systemisch gesehen werden, wie z.B.: „Wenn du Türken beleidigst, bist du mein Feind, weil du damit meine Ehre als Türke verletzt“. Hier kann die eigene ethnische Identität dadurch verstärkt werden, dass man für das, was einem wichtig ist, kämpft. Der Konflikt nimmt symbolische Dimensionen an, um die eigenen Verbindungen zur Bezugsgruppe zu stärken. In einem Fall ist vielleicht die eigene Wohnungstür die Grenze der soziokulturellen Umwelt, die ein/e Migrant/in pflegt. Jenseits dieser Tür beginnt die deutsche Welt, eine Welt, in der er/sie sich nicht wohl fühlen kann und die er/sie deshalb meidet. In diesem Fall wird nicht um irgend etwas gekämpft, sondern irgend etwas wird ignoriert, z.B. die Hausordnung.

b)     Strukturalistische Konflikte: Konflikte als Austragungsmomente in der Anerkennungsproblematik
Konflikte sind innerhalb eines sozialen Systems einzuordnen. Nicht alle Konflikte in der Einwanderungsgesellschaft sind durch Mediation lösbar. Die Ungleichbehandlung der Menschen mit Migrationshintergrund in Politik und Gesellschaft, die nichtvorhandene Chancengleichheit bezüglich Bildung, Diskriminierung in der Arbeitswelt oder bei der Wohnungssuche zeugen von einem Machtgefälle, das Grundlage jeder Konfliktanalyse sein muss. Die Zugänge zu Ressourcen werden explizit oder implizit begrenzt, d.h. durch Eingliederungshindernisse in Form von expliziten Leitlinien, z.B. dem Ausländerrecht, welches Hierarchisierungstendenzen unter Migrantengruppierungen mitverursacht, und durch implizite Faktoren, z.B. mangelnde Bildungschancen schon im Vorschulalter. Viele Kinder aus Migrantenfamilien überwinden nicht die Hürden in den Übergängen Familie - Kindergarten, Grundschule - weiterführende Schule oder Schule - Beruf. Diese Barrieren führen zur strukturellen Exklusion von gesellschaftlichen Ressourcen. In solch einem Rahmen können Konflikte als Austragungsmomente betrachtet werden, die die Anerkennungsproblematik im Bezug auf Zugang zu Ressourcen widerspiegeln. Konflikte können entstehen, wenn der Zugang zu begrenzten Ressourcen für manche Gruppen blockiert wird. In dieser Erscheinungsform geht es in erster Linie um Macht oder um den wahrgenommenen Ausschluss von Machtteilhabe.

c)      Differenzbetonende Konflikte: Kulturdeterminierte Wahrnehmung
Bei diesen Konflikten handelt es sich um unterschiedliche Wahrnehmungen bezüglich der Verhaltensweisen, die allgemein als „kulturell-bedingt“ zugeschrieben werden. Bezogen auf Faktoren, die jeweils auch individuell variieren können, wären einige Punkte hervorzuheben:
Raum: Fragen im Hinblick auf sozialdeterminierten Grenzen der Nähe und Distanz, bzw. wie viel Abstand halte ich zu meinem Gesprächspartner? Wann wird dieser Abstand als zu nah und unangenehm empfunden oder umgekehrt als zu distanziert und unnahbar? Wie begegnen sich Menschen unterschiedlichen Geschlechts?
Terrain: Was gilt als öffentlicher Raum und was ist eindeutig private Sphäre? Ist das Treppenhaus in einem Mehrfamilien-Mietshaus Teil der öffentlichen oder der privaten Sphäre? Die Antwort darauf hätte Auswirkung auf die Hausordnung und böte dementsprechend möglicherweise Zündstoff für nachbarschaftliche Konflikte.
Zeit: (a) Tempo – wie „schnell“ oder „langsam“ verlaufen bestimmte Handlungen oder Aktivitäten? Welches Tempo bevorzugt ein Mensch für welche Aktivitäten? Welche Faktoren beeinflussen diese Entscheidungen?
(b) Dichte – sind meine Handlungen ‚polychron’ oder ‚monochron’, d.h. kann ich mehrere Handlungen gleichzeitig durchführen oder bevorzuge ich eine Aneinanderreihung meiner Tätigkeiten? Das erste könnte, je nach Perspektive, entweder als „chaotisch“ oder „geschickt“, das letztere entweder als „einfältig“ oder „ordentlich“ bezeichnet werden.
Ich-Wir-Bezug: Hier gilt es, die tatsächlich praktizierte Perspektive bezüglich des Ich-Wir-Verhältnisses anzusehen. Handelt jemand eher individualistisch oder kollektivistisch? Je nach Perspektive eines Betrachters könnte jemand, wenn er aus einer eher kollektivistischen Perspektive handelt, als „unselbständig“ oder als „teamfähig“ gelten. Auch die Rolle der Familie im Hintergrund kann einen entscheidenden Faktor bei einem Konflikt bilden.
Genderfrage: Wie kommunizieren Männer und Frauen miteinander? Darf eine Frau einem Mann die Hand geben oder in die Augen blicken? Falsche Handlungsweisen können leicht zu Missverständnissen und in deren Folge zu Konflikten führen.
Autoritätsabhängigkeit: Wie gehen Menschen mit Autoritäten um. Liegt eher ein devotes Verhalten vor (Autoritätsgläubigkeit) oder eine kritische Distanz (Streben nach Autonomie)?
Kommunikationsformen (verbale und nonverbale)
Sprache als Kommunikationsform braucht den Anderen, infolgedessen findet das Sprechen immer in einem gesellschaftlichen Kontext statt. Gleiches gilt für nonverbale Kommunikationsformen (z.B. Körpersprache). Wie gelingt es uns, diesen gesellschaftlichen Kontext in Situationen zu ‚übersetzen’, die uns fremd sind.
Regeln des Konfliktverhaltens: Wie gehen Menschen unterschiedlicher kultureller Orientierung mit Konflikten um? Werden Konflikte offen oder durch nonverbale Kommunikationsformen (z.B. Gestik, Mimik, Schweigen etc.) strategisch ausgedrückt? Wie äußere ich meinen Unmut gegenüber einer Respektsperson (direkt oder indirekt)?

d)     Kulturalistische Konflikte: Instrumentalisierung des Faktors ‚Kultur’
Manchmal werden Konflikte fälschlicherweise einfach als interkulturelle gesehen oder vorgetäuscht. Hier wird der Faktor „Kultur“ für den persönlichen Gewinn des Individuums instrumentalisiert mit der unbewussten Hilfe von Mitbeteiligten, die diesen festgefahrenen Klischees Glauben schenken. Im Konfliktprozess kann der Faktor „kulturelle Zugehörigkeit“ zum Instrument werden, um an zusätzliche Ressourcen für einzelne Konfliktparteien heranzukommen. Kulturelle Zuschreibungen von außen können von einer Konfliktpartei gegen die andere Partei benutzt werden, um Vorteile für sich zu gewinnen, z.B. „Alle Türken haben ein Messer in der Tasche, der Türke hat zuerst angefangen“. Diese müssen nicht unbedingt mit der persönlichen Identität der gegnerischen Partei übereinstimmen. Man wird für das angegriffen, wofür die eigene ‚Ethnie’ angeblich herhalten soll. In solchen Konflikten können opportunistische Überlegungen einzelner Personen dahinter versteckt sein. Konflikte können als interkulturell wahrgenommen werden, obwohl sie ganz andere Ursachen haben. Wenn die Umgebung dann auch noch auf deterministische Art und Weise spezifischen Gruppen bestimmte Merkmale zuschreibt, dann kann dies andere Konfliktursachen überdecken. Häufig werden Konflikte als interkulturell wahrgenommen, obwohl strukturelle Bedingungen im Grunde alle betreffen. Nehmen wir das klassische Beispiel einer Hausgemeinschaft mit Lärmbelästigungen, kinderreichen südländischen Familien, älteren ‚deutschen’ Mitbewohner/innen und schlecht isolierten Wohnungen. Eine Mischung, die reif ist für eine Kette von Missverständnissen, die nur allzu oft zu eskalierenden Konflikten führen und auf festgefahrenen Klischees beiderseits basieren. Konflikte können auch rassistische oder fremdenfeindliche Ursachen haben. Das heißt, eine Konfliktpartei schreibt der anderen automatisch auf Grund von Herkunft, Religion oder ethnisch-kultureller Orientierung Negativeigenschaften zu. Der Konflikt wird dabei ethnisiert oder kulturalisiert, obwohl bei objektiver Betrachtung die Ethnizität oder Kultur eigentlich ohne Belang wäre. Es stellt sich die Frage, ob bei dieser Konfliktart ein Vermittlungs- und Haltungsveränderungsprozess durch Mediation eingeleitet werden kann. Da die Grenzen zwischen Vorurteilen, Angst vor dem Anderen und Fremden, Fremdenfeindlichkeit und offenem Rassismus oft verschwommen sind, muss dies bei der Konfliktanalyse genau beachtet werden.

e)     Konflikte auf Grund von Sprachbarrieren
Es kann auch vorkommen, dass eine Kommunikation nicht oder nur unvollständig auf Grund mangelnder Sprachkenntnisse stattfindet. Möglich sind auch Missverständnisse in der Kommunikation, weil man/frau sich nicht oder falsch versteht. Dies wäre also in erster Linie ein Übersetzungsproblem, mit dem jeder Mensch konfrontiert ist, der sich als Migrant/in oder als Tourist längere Zeit in einem anderen Land aufhält und die Lingua Franca des Landes nicht spricht. In den Konflikten im interkulturellen Kontext dürfte diese Konfliktform beim genauen Hinsehen aber eher die Ausnahme sein, da die Mehrzahl der Migranten/innen schon eine längere Aufenthaltsdauer besitzt und ausreichend - wenn auch oft nicht perfekt - Deutsch spricht. In der Regel kann dieses Problem, sofern ein ernsthafter Wille vorhanden ist, gelöst werden, indem man/frau Wertschätzung ausdrückt und sich Zeit für die Kommunikation nimmt. Die fehlenden Sprachkenntnisse können aber auch vorgeschoben werden, um den Nachbarn oder Betroffenen aus dem Weg zu gehen.

Freilich ist es möglich, in einem Konflikt Erscheinungsformen einiger oder aller fünf Richtungen zu entdecken. Oder der Konflikt entwickelt sich mehr und mehr in eine Richtung, obwohl er anfänglich als etwas anderes begann.

Deshalb ist das Netzwerk für interkulturelle Mediation in Nürnberg auf den Einsatz von Tandem- oder Co-Mediatorenteams unterschiedlicher Herkunft aufgebaut. So gelingt uns auch ein ‚Perspektivenwechsel’ und wir können den Konflikt von verschiedenen Seiten betrachten. Wir wollen durch den gleichberechtigten Praxiseinsatz zeigen, dass wir es mit der Wertschätzung beider Konfliktparteien ernst meinen. In diesen Tandems gibt es nicht eine/n Mediator/in und eine/n Dolmetscher/in, es gibt zwei interagierende gleichberechtigte Mediatoren/innen. Unsere eigene Teamzusammensetzung, sowohl in Bezug auf ethnische oder kulturelle Herkunft als auch auf institutionelle Zugehörigkeit, ist gleichzeitig unsere sozialpolitische Visitenkarte. Mit der zunehmend pragmatischen Akzeptanz einer multikulturellen Gesellschaft in Deutschland ist die Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Zugehörigkeiten nicht nur wünschenswert, sie ist vor allem auch möglich. Wir im Netzwerk sind ein Mikrokosmos nicht nur für interkulturelle Verständigung über verschiedene persönliche Identitätsstandorte und berufliche Institutionszusammenhänge hinweg, sondern auch für Konflikte. In diesen Konflikten sehen wir Lernchancen und Raum für Veränderungen.

Was verstehen wir unter interkultureller Mediation?

Im Netzwerk gehen wir pragmatisch mit dem Thema um. In der Regel haben wir es mit Menschen zu tun, die in irgendeiner Form mit der Zuschreibung „Ausländer“, „Aussiedler“ oder „Menschen nicht-deutscher Herkunft“ zu tun haben (oder deren ‚deutsche’ Nachbarn, Bekannte, Partner etc.). Das heißt aber nicht, dass Menschen mit Migrationshintergrund automatisch konfliktbeladener wären als andere. Wenn wir das Thema genau betrachten, müsste man eigentlich den Begriff „Mediation in interkulturellem Zusammenhang“ verwenden, denn es ist meist nicht klar, welchen Einfluss die kulturelle oder ethnische Herkunft einer Person auf den Konflikt hat. Wir müssen analysieren, ob wir es vielleicht mit ‚Vorurteilen’, ‚Stereotypen’ oder gar mit offenem ‚Rassismus’ zu tun haben. In der Praxis schauen wir uns alles genau an und versuchen, den Ursachen eines Konfliktes auf den Grund zu gehen. Unser Verständnis von ‚Interkulturalität’ geht daher von einem erweiterten Kulturbegriff aus und schließt die sozialen Lebensumstände, in denen die Menschen stecken, mit ein. Oft erweisen sich vermeintliche ‚interkulturelle Konflikte’ als Konflikte zwischen Menschen unterschiedlicher Lebensstile. Es sind v.a. Konflikte zwischen Nachbarn, Lebenspartnern, jungen und alten Menschen, Singles und Familien. Der Faktor ‚Kultur’ spielt dann meist eine sekundäre oder ganz andere Rolle.

Erste Erfahrungen

Die Leitung des ASD ist mit ihrer Telefonnummer (0911/231-2686) die erste Anlaufstelle für Menschen, die eine Mediation wünschen. Von der Zentralstelle wird die Anfrage an eine/n Mediator/in weitergeleitet, der/die sich um das weitere Verfahren kümmert. Wichtig war und ist der ständige Austausch im Netzwerk auch über die Ausbildungsphase hinaus. Der Ausbau dieses Netzwerkes ist die Grundlage der interkulturellen Mediation. Neben regelmäßigen dienstlichen Besprechungen treffen sich die interkulturellen Mediatoren/innen auch öfter bei einem ‚Stammtisch’, um aktuelle Fragen zu besprechen. Die Erfahrungen der ersten beiden Jahre zeigen, dass Mediation als alternative Form der Konfliktvermittlung insgesamt noch nicht so bekannt ist, wie es zu wünschen wäre. Das Netzwerk wurde am Anfang insbesondere für Partnerschaftsmediationen angefordert. Zwar gab es auch reichlich Anfragen bezüglich nachbarschaftlicher Konflikte oder solcher zwischen Einzelpersonen und Institutionen, aber es mangelte oft an der Bereitschaft der zweiten Partei zu einer Mediation. Das Problem, auch die zweite Partei zu gewinnen, sehen wir als eine wichtige Herausforderung. Die Konfliktbearbeitung schon im Vorfeld einer Mediation betrachten wir als ein wichtiges Aufgabenfeld. Vorgespräche mit den verschiedenen Konfliktparteien erweisen sich insbesondere im interkulturellen Kontext als sinnvoll, um die unterschiedlichen Erwartungen der Beteiligten zu erkennen und das Setting der Mediation vorzubereiten. Die Mediatoren/innen achten dabei selbstverständlich auf die Wahrung ihrer Neutralität und Allparteilichkeit. Öffentlichkeitsarbeit ist ein wichtiger Bestandteil des Netzwerkes. Über die Auftaktveranstaltung, bei der auch ein Rollenspiel aufgeführt wurde, gibt es einen Film. Es wurde ein Flyer mit den wesentlichen Informationen über das Netzwerk erstellt, eine Zusammenfassung des Textes wurde in die wichtigsten Sprachen der Migranten/innen (türkisch, russisch, griechisch etc.) übersetzt. Bei Stadtteilfesten und bei Veranstaltungen ausländischer Vereine, Bürgervereine, der Polizei sowie in Dienstbesprechungen einzelner kommunaler Ämter und Wohnungsbaugesellschaften stellten wir das Netzwerk - meist mit dem Film - vor. Die Presse berichtete über unser Projekt. Das Netzwerk ist inzwischen bekannter und die Anfragen mehren sich. Interkulturelle Mediation lohnt sich.

Marissa Pablo-Dürr, Soziologin, arbeitet bei IN VIA - KOFIZA und Xenos Nürnberg,
E-Mail: konfiza@invia-nuernberg.de

Friedrich Popp, Geschäftsführer des Ausländerbeirates der Stadt Nürnberg,
E-Mail: friedrich.popp@stadt.nuernberg.de

 

Literatur:

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Tarek Badawina, „Hier Moment! Der hat schwarze Haare, der ist anders“ - Immigrantenjugendliche im Spannungsfeld menschlicher Potenziale und (Vor)Urteile, IZA 3/4 2000, Frankfurt

Peter L. Berger/ Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Fischer Verlag, Frankfurt, 1969.

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Georg Butterwegge, Rassismus und rassistisch bedingte Konflikte in der globalisierten Einwanderungsgesellschaft, IZA 3/4 2000, Frankfurt

Jörg Calließ (Hrsg.), Agenda für den Frieden: Interkulturelle Mediation, Loccum 1999

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Roger Fisher/ William Ury/ Bruce Patton, Das Harvard-Konzept, Sachgerecht verhandeln – erfolgreich verhandeln, Frankfurt/M. 21. Auflage 2002

Barbara Grotz, Mediation im interkulturellen Kontext, IZA 3/4 2003, Frankfurt

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Frank Liebe/ Petra Haumersen, Multi Kulti: Konflikte konstruktiv. Trainingshandbuch in der interkulturellen Arbeit, Mühlheim an der Ruhr 1999

Friedrich Popp, Anmerkungen zur ‚interkulturellen Kompetenz’, Nürnberg 2002, www.xenos-nuernberg.de

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Barbara Schramkowski, Interkulturelle Mediation, Mediation als eine Methode des konstruktiven Umgangs mit interkulturellen Konflikten in Städten mit hohem multikulturellen Bevölkerungsanteil, Konstanz 2001

Axel Schulte, Soziale und politische Konfliktregulierung in der multikulturellen Einwanderungsgesellschaft, IZA 3/4 2000, Frankfurt

Ljubjana Wüstehube, Mediation im interkulturellen Kontext: Erhöhte Aufmerksamkeit auf Gerechtigkeitsempfinden und kontextuelle Gerechtigkeit, Forum Mediation, Zeitschrift des Schweizerischen Vereins für Mediation 2 / 2002



[*] Neben dem ASD sind Mitarbeiter/innen folgender Institutionen am Netzwerk beteiligt: Amt für Kultur und Freizeit der Stadt Nürnberg, Ausländerbeirat der Stadt Nürnberg, AWO KV Nürnberg, Caritasverband Nürnberg, Evangelische Jugend Nürnberg, Jugendamt der Stadt Nürnberg, KOFIZA - IN VIA e.V., Stadtmission Nürnberg e.V., Xenos Nürnberg