Streitigkeiten zwischen Nachbarn gibt es, seit Menschen in Dörfern und
Städten zusammen leben. In der heutigen Großstadt haben wir oft eine
Nachbarschaft, die von Menschen unterschiedlichster Herkunft und Muttersprachen
zusammengesetzt ist. In den Mietskasernen schreitet die Vereinsamung und
Isolierung der Menschen voran. Man spricht kaum miteinander, höchstens
vielleicht noch übereinander. Wenn dann noch ein Konflikt über die nicht
gemachte Hausordnung, über den nicht getrennten Müll, über den Lärm der Fußball
spielenden Kinder oder die zu laute Musik hinzukommt, dann ist ein ungutes
Klima vorhanden und die Gefahr der Eskalation nimmt zu. In solchen Fällen
bieten wir Mediation als Konfliktvermittlung an.
Die Mediation ist eigentlich eine uralte Angelegenheit. Wir finden
Formen der Mediation schon in der Bibel, im Buddhismus oder bei den Aleviten in
der Türkei. Bei der Cem-Feier der Aleviten z.B., die als Kultus einmal im Jahr
stattfindet, wird die Streitschlichtung vom Dede, dem religiösen
Gemeindeoberhaupt, vor der versammelten Gemeinde durchgeführt. Diese
Konfliktvermittlung ist ein Bestandteil uralter Riten. Die Ursprünge der
modernen Mediation stammen aus den USA.
Der Anstoß zu einer Anlauf- oder Clearingstelle für
Konflikte im interkulturellen Bereich kam vom Ausländerbeirat der Stadt
Nürnberg. Bekannt war lediglich das erste Stadtteilvermittlungsangebot des
Amtes für Multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt. In Nürnberg
wurde von Anfang an Wert darauf gelegt, das Projekt auf eine breite
institutionelle Basis zu stellen. Bereits Ende 1997 gab es das erste Treffen in
der Geschäftsstelle des Ausländerbeirates. Es bedurfte aber einer längeren
Diskussion und mehrerer Anläufe, bis die Richtung klar wurde und ein
Ausbildungskonzept für interkulturelle Mediation erstellt werden konnte. Von
Anfang an erklärte der Allgemeine Sozialdienst der Stadt Nürnberg (ASD) den
Bereich eines nachbarschaftlichen Mediationsangebots als eine seiner originären
Aufgaben. Ursprünglich war nur an eine Fortbildung für die Kollegen/innen des
ASD gedacht. Aber es war klar, dass angesichts der angespannten Finanzlage der
Kommune keine neue Personalstelle für Koordinationsaufgaben zu finanzieren
wäre. Aus diesem Grund erschien es um so wichtiger, Mitarbeiter/innen des ASD
und anderer Dienste mit Mediationskompetenzen im interkulturellen Bereich
fortzubilden, um vorhandene Ressourcen ohne größere Investitionen optimal zu
bündeln. Nach längerer Diskussion und einem neuen Konzept von Marissa
Pablo-Dürr begannen 23 Mitarbeiter/innen des ASD und der Migrationsdienste[*]
Ende 2000 eine Fortbildung als interkulturelle Mediatoren/innen. Als
Modellprojekt wurde diese 200-stündige Ausbildung vom Bayerischen Staatsministerium
für Arbeit und Sozialordnung finanziell unterstützt. Die Seminarleitung übernahm
die damalige Vorsitzende des Bundesverbands Mediation Dr. Benedikta Gräfin v.
Deym-Soden. Während der Ausbildung beschäftigten sich die Beteiligten mit
Theorie und Methodik der klassischen Mediation, sie übten in wechselnden Rollenspielen
die Tandemmediation und diskutierten interkulturelle Fragen in Konfliktsituationen.
Seit Mitte 2002 sind nun 23 Mediatoren/innen im Einsatz.
Das Besondere am Nürnberger „Netzwerk
interkulturelle Mediation“ sind zwei Dinge: Erstens wird die Mediation
grundsätzlich in Zweierteams (Tandems) angeboten, wobei die Besetzung des öfteren variiert. Zweitens sind die Mediatoren/innen
beruflich in verschiedenen Institutionen der Kommune und der Migrationsdienste
eingebettet. Wenn wir von einer Tandem- oder Zweiermediation sprechen, dann
heißt dies, dass jeweils einer der Mediatoren/innen selbst Migrationshintergrund
hat, nach Möglichkeit spricht er/sie die gleiche Sprache wie eine der
Konfliktparteien. Dabei ist dieser „Muttersprachler“ nicht einfach der
Dolmetscher während des Gesprächs, er ist gleichberechtigter interkultureller
Mediator. Dahinter steckt der Gedanke, dass es wichtig ist, die
Konfliktparteien in ihrem Umfeld „wert“zuschätzen und ernst zu nehmen. Natürlich
können wir nur eine beschränkte Anzahl an Sprachen anbieten (v.a. die Hauptsprachen
der Zuwanderer aus Süd- und Osteuropa). Es kommt im Wesentlichen mehr auf die
emotionale Nähe und Empathie an als alleine auf das Sprachproblem.
Welche Erscheinungsformen können
interkulturelle Konflikte annehmen?
Es gibt unseres Erachtens fünf Typologien
interkultureller Konflikte:
a)
Konstruktivistische Konflikte: Konflikte als
„Schauplätze“
Bei
diesen Konflikten dienen ethnisch-kulturelle Zuschreibungen als
Projektionsflächen. Diese Zuschreibungen können sowohl von außen kommen als
auch auf Eigendefinition beruhen (Fremd- und Selbstethnisierung). Zu hinterfragen
ist jeweils, wer die Bezeichnung einer Person als „Türke“, „Russe“ oder
„Deutscher“ vornimmt. Gerade Jugendliche - auf der Suche nach Identität -
geraten leicht in diese „Ethnofalle“. Auch etliche Wissenschaftler tragen zur
Klassifizierung der Menschen in konstruierte Kategorien bei (z.B. die
Forschungen nach diversen nationalen ‚Kulturstandards’). Viele Konflikte haben
ihren Ursprung in der wahrgenommenen Bedrohung durch „Andere“, denen ein
ethnischer Standort zugeschrieben wird. Viele Jugendliche mit
Migrationshintergrund definieren sich auf der
Suche nach einer Identität und in Folge vieler diskriminierender Erfahrungen
ethnisch-kulturell, obwohl sie in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und
möglicherweise die Sprache ihrer Eltern nur rudimentär beherrschen. Auch in
sog. interethnischen Konflikten (z.B. „Russen“ gegen „Türken“) fungiert die vermeintliche
Ethnie als scheinbar gesicherter Identitätsstandort. In so einem Konflikt
agieren Konfliktparteien auf der Basis von Vorstellungen und Vorurteilen gegen
andere. Die Betroffenen gehen jeweils von der eigenen Lebenslage und ihrer eigenen
wahrgenommenen Situationen aus. So betrachtet können Konflikte in interethnischen
Settings im Rahmen eines Ringens um Sicherung der eigenen konstruierten Lebenswelt
systemisch gesehen werden, wie z.B.: „Wenn du Türken beleidigst, bist du mein
Feind, weil du damit meine Ehre als Türke verletzt“. Hier kann die
eigene ethnische Identität dadurch verstärkt werden, dass man für das, was
einem wichtig ist, kämpft. Der Konflikt nimmt symbolische Dimensionen an, um
die eigenen Verbindungen zur Bezugsgruppe zu stärken. In einem Fall ist
vielleicht die eigene Wohnungstür die Grenze der soziokulturellen Umwelt, die
ein/e Migrant/in pflegt. Jenseits dieser Tür beginnt die deutsche Welt, eine
Welt, in der er/sie sich nicht wohl fühlen kann und die er/sie deshalb meidet.
In diesem Fall wird nicht um irgend etwas gekämpft,
sondern irgend etwas wird ignoriert, z.B. die Hausordnung.
b)
Strukturalistische Konflikte: Konflikte als
Austragungsmomente in der Anerkennungsproblematik
Konflikte
sind innerhalb eines sozialen Systems einzuordnen. Nicht alle Konflikte in der
Einwanderungsgesellschaft sind durch Mediation lösbar. Die Ungleichbehandlung
der Menschen mit Migrationshintergrund in Politik und Gesellschaft, die
nichtvorhandene Chancengleichheit bezüglich Bildung, Diskriminierung in der Arbeitswelt
oder bei der Wohnungssuche zeugen von einem Machtgefälle, das Grundlage jeder
Konfliktanalyse sein muss. Die Zugänge zu Ressourcen werden explizit oder
implizit begrenzt, d.h. durch Eingliederungshindernisse in Form von expliziten
Leitlinien, z.B. dem Ausländerrecht, welches Hierarchisierungstendenzen unter
Migrantengruppierungen mitverursacht, und durch implizite Faktoren, z.B.
mangelnde Bildungschancen schon im Vorschulalter. Viele Kinder aus
Migrantenfamilien überwinden nicht die Hürden in den Übergängen Familie -
Kindergarten, Grundschule - weiterführende Schule oder Schule - Beruf. Diese Barrieren
führen zur strukturellen Exklusion von gesellschaftlichen Ressourcen. In solch
einem Rahmen können Konflikte als Austragungsmomente betrachtet werden, die die
Anerkennungsproblematik im Bezug auf Zugang zu Ressourcen widerspiegeln. Konflikte können
entstehen, wenn der Zugang zu begrenzten Ressourcen für manche Gruppen
blockiert wird. In dieser Erscheinungsform geht es in erster Linie um Macht
oder um den wahrgenommenen Ausschluss von Machtteilhabe.
c)
Differenzbetonende Konflikte: Kulturdeterminierte
Wahrnehmung
Bei diesen Konflikten
handelt es sich um unterschiedliche Wahrnehmungen bezüglich der
Verhaltensweisen, die allgemein als „kulturell-bedingt“ zugeschrieben werden.
Bezogen auf Faktoren, die jeweils auch individuell variieren können, wären einige
Punkte hervorzuheben:
► Raum: Fragen im Hinblick auf sozialdeterminierten Grenzen der
Nähe und Distanz, bzw. wie viel Abstand halte ich zu meinem Gesprächspartner?
Wann wird dieser Abstand als zu nah und unangenehm empfunden oder umgekehrt als
zu distanziert und unnahbar? Wie begegnen sich Menschen unterschiedlichen
Geschlechts?
► Terrain: Was gilt als öffentlicher Raum und was ist eindeutig
private Sphäre? Ist das Treppenhaus in einem Mehrfamilien-Mietshaus Teil der
öffentlichen oder der privaten Sphäre? Die Antwort darauf hätte Auswirkung auf
die Hausordnung und böte dementsprechend möglicherweise Zündstoff für
nachbarschaftliche Konflikte.
► Zeit: (a) Tempo – wie „schnell“ oder „langsam“ verlaufen
bestimmte Handlungen oder Aktivitäten? Welches Tempo bevorzugt ein Mensch für
welche Aktivitäten? Welche Faktoren beeinflussen diese Entscheidungen?
(b) Dichte – sind meine Handlungen ‚polychron’ oder ‚monochron’, d.h. kann ich
mehrere Handlungen gleichzeitig durchführen oder bevorzuge ich eine
Aneinanderreihung meiner Tätigkeiten? Das erste könnte, je nach Perspektive,
entweder als „chaotisch“ oder „geschickt“, das letztere entweder als
„einfältig“ oder „ordentlich“ bezeichnet werden.
► Ich-Wir-Bezug: Hier gilt es, die tatsächlich praktizierte Perspektive
bezüglich des Ich-Wir-Verhältnisses anzusehen. Handelt jemand eher
individualistisch oder kollektivistisch? Je nach Perspektive eines Betrachters
könnte jemand, wenn er aus einer eher kollektivistischen Perspektive handelt,
als „unselbständig“ oder als „teamfähig“ gelten. Auch die Rolle der Familie im
Hintergrund kann einen entscheidenden Faktor bei einem Konflikt bilden.
► Genderfrage: Wie kommunizieren Männer und Frauen miteinander?
Darf eine Frau einem Mann die Hand geben oder in die Augen blicken? Falsche
Handlungsweisen können leicht zu Missverständnissen und in deren Folge zu
Konflikten führen.
► Autoritätsabhängigkeit: Wie gehen Menschen mit Autoritäten um.
Liegt eher ein devotes Verhalten vor (Autoritätsgläubigkeit) oder eine
kritische Distanz (Streben nach Autonomie)?
► Kommunikationsformen (verbale und nonverbale)
Sprache als Kommunikationsform braucht den Anderen, infolgedessen findet
das Sprechen immer in einem gesellschaftlichen Kontext statt. Gleiches gilt für
nonverbale Kommunikationsformen (z.B. Körpersprache). Wie gelingt es uns,
diesen gesellschaftlichen Kontext in Situationen zu ‚übersetzen’, die uns fremd
sind.
► Regeln des Konfliktverhaltens: Wie gehen Menschen
unterschiedlicher kultureller Orientierung mit Konflikten um? Werden Konflikte
offen oder durch nonverbale Kommunikationsformen (z.B. Gestik, Mimik, Schweigen
etc.) strategisch ausgedrückt? Wie äußere ich meinen Unmut gegenüber einer
Respektsperson (direkt oder indirekt)?
d)
Kulturalistische
Konflikte: Instrumentalisierung des Faktors ‚Kultur’
Manchmal
werden Konflikte fälschlicherweise einfach als interkulturelle gesehen oder
vorgetäuscht. Hier wird der Faktor „Kultur“ für den persönlichen Gewinn des
Individuums instrumentalisiert mit der unbewussten Hilfe von Mitbeteiligten,
die diesen festgefahrenen Klischees Glauben schenken. Im Konfliktprozess
kann der Faktor „kulturelle Zugehörigkeit“ zum Instrument werden, um an
zusätzliche Ressourcen für einzelne Konfliktparteien heranzukommen. Kulturelle
Zuschreibungen von außen können von einer Konfliktpartei gegen die andere
Partei benutzt werden, um Vorteile für sich zu gewinnen, z.B. „Alle Türken
haben ein Messer in der Tasche, der Türke hat zuerst angefangen“. Diese müssen
nicht unbedingt mit der persönlichen Identität der gegnerischen Partei
übereinstimmen. Man wird für das angegriffen, wofür die eigene ‚Ethnie’
angeblich herhalten soll. In solchen Konflikten können opportunistische Überlegungen
einzelner Personen dahinter versteckt sein. Konflikte können als interkulturell
wahrgenommen werden, obwohl sie ganz andere Ursachen haben. Wenn die Umgebung
dann auch noch auf deterministische Art und Weise spezifischen Gruppen
bestimmte Merkmale zuschreibt, dann kann dies andere Konfliktursachen
überdecken. Häufig werden Konflikte als interkulturell wahrgenommen, obwohl
strukturelle Bedingungen im Grunde alle betreffen. Nehmen wir das klassische
Beispiel einer Hausgemeinschaft mit Lärmbelästigungen, kinderreichen
südländischen Familien, älteren ‚deutschen’ Mitbewohner/innen und schlecht
isolierten Wohnungen. Eine Mischung, die reif ist für eine Kette von
Missverständnissen, die nur allzu oft zu eskalierenden Konflikten führen und
auf festgefahrenen Klischees beiderseits basieren. Konflikte können
auch rassistische oder fremdenfeindliche Ursachen haben. Das heißt, eine
Konfliktpartei schreibt der anderen automatisch auf Grund von Herkunft,
Religion oder ethnisch-kultureller Orientierung Negativeigenschaften zu. Der
Konflikt wird dabei ethnisiert oder kulturalisiert, obwohl bei objektiver
Betrachtung die Ethnizität oder Kultur eigentlich ohne Belang wäre. Es stellt
sich die Frage, ob bei dieser Konfliktart ein Vermittlungs- und
Haltungsveränderungsprozess durch Mediation eingeleitet werden kann. Da die
Grenzen zwischen Vorurteilen, Angst vor dem Anderen und Fremden,
Fremdenfeindlichkeit und offenem Rassismus oft verschwommen sind, muss dies bei
der Konfliktanalyse genau beachtet werden.
e)
Konflikte auf
Grund von Sprachbarrieren
Es
kann auch vorkommen, dass eine Kommunikation nicht oder nur unvollständig auf
Grund mangelnder Sprachkenntnisse stattfindet. Möglich sind auch
Missverständnisse in der Kommunikation, weil man/frau sich nicht oder falsch
versteht. Dies wäre also in erster Linie ein Übersetzungsproblem, mit dem jeder
Mensch konfrontiert ist, der sich als Migrant/in oder als Tourist längere Zeit
in einem anderen Land aufhält und die Lingua Franca des Landes nicht spricht.
In den Konflikten im interkulturellen Kontext dürfte diese Konfliktform beim
genauen Hinsehen aber eher die Ausnahme sein, da die Mehrzahl der
Migranten/innen schon eine längere Aufenthaltsdauer besitzt und ausreichend -
wenn auch oft nicht perfekt - Deutsch spricht. In der Regel kann dieses Problem,
sofern ein ernsthafter Wille vorhanden ist, gelöst werden, indem man/frau
Wertschätzung ausdrückt und sich Zeit für die Kommunikation nimmt. Die
fehlenden Sprachkenntnisse können aber auch vorgeschoben werden, um den
Nachbarn oder Betroffenen aus dem Weg zu gehen.
Freilich ist es möglich, in einem
Konflikt Erscheinungsformen einiger oder aller fünf Richtungen zu entdecken.
Oder der Konflikt entwickelt sich mehr und mehr in eine Richtung, obwohl er
anfänglich als etwas anderes begann.
Deshalb ist das Netzwerk für interkulturelle
Mediation in Nürnberg auf den Einsatz von Tandem- oder Co-Mediatorenteams
unterschiedlicher Herkunft aufgebaut. So gelingt uns auch ein
‚Perspektivenwechsel’ und wir können den Konflikt von verschiedenen Seiten
betrachten. Wir wollen durch den gleichberechtigten Praxiseinsatz zeigen, dass
wir es mit der Wertschätzung beider Konfliktparteien ernst meinen. In diesen
Tandems gibt es nicht eine/n Mediator/in und eine/n Dolmetscher/in, es gibt
zwei interagierende gleichberechtigte Mediatoren/innen. Unsere eigene
Teamzusammensetzung, sowohl in Bezug auf ethnische oder kulturelle Herkunft als
auch auf institutionelle Zugehörigkeit, ist gleichzeitig unsere
sozialpolitische Visitenkarte. Mit der zunehmend pragmatischen Akzeptanz einer
multikulturellen Gesellschaft in Deutschland ist die Verständigung zwischen
Menschen unterschiedlicher Zugehörigkeiten nicht nur wünschenswert, sie ist vor
allem auch möglich. Wir im Netzwerk sind ein Mikrokosmos nicht nur für
interkulturelle Verständigung über verschiedene persönliche Identitätsstandorte
und berufliche Institutionszusammenhänge hinweg, sondern auch für Konflikte. In
diesen Konflikten sehen wir Lernchancen und Raum für Veränderungen.
Was verstehen wir unter interkultureller Mediation?
Im Netzwerk gehen wir pragmatisch mit dem Thema um. In der Regel haben
wir es mit Menschen zu tun, die in irgendeiner Form mit der Zuschreibung „Ausländer“,
„Aussiedler“ oder „Menschen nicht-deutscher Herkunft“ zu tun haben (oder deren
‚deutsche’ Nachbarn, Bekannte, Partner etc.). Das heißt aber nicht, dass
Menschen mit Migrationshintergrund automatisch konfliktbeladener wären als
andere. Wenn wir das Thema genau betrachten, müsste man eigentlich den Begriff
„Mediation in interkulturellem Zusammenhang“ verwenden, denn es ist meist nicht
klar, welchen Einfluss die kulturelle oder ethnische Herkunft einer Person auf
den Konflikt hat. Wir müssen analysieren, ob wir es vielleicht mit
‚Vorurteilen’, ‚Stereotypen’ oder gar mit offenem ‚Rassismus’ zu tun haben. In
der Praxis schauen wir uns alles genau an und versuchen, den
Ursachen eines Konfliktes auf den Grund zu gehen. Unser Verständnis von
‚Interkulturalität’ geht daher von einem erweiterten Kulturbegriff aus und
schließt die sozialen Lebensumstände, in denen die Menschen stecken, mit ein.
Oft erweisen sich vermeintliche ‚interkulturelle Konflikte’ als Konflikte
zwischen Menschen unterschiedlicher Lebensstile. Es sind v.a. Konflikte
zwischen Nachbarn, Lebenspartnern, jungen und alten Menschen, Singles und Familien.
Der Faktor ‚Kultur’ spielt dann meist eine sekundäre oder ganz andere Rolle.
Die Leitung des ASD ist mit ihrer Telefonnummer (0911/231-2686) die
erste Anlaufstelle für Menschen, die eine Mediation wünschen. Von der
Zentralstelle wird die Anfrage an eine/n Mediator/in weitergeleitet, der/die
sich um das weitere Verfahren kümmert. Wichtig war und ist der ständige Austausch
im Netzwerk auch über die Ausbildungsphase hinaus. Der Ausbau dieses Netzwerkes
ist die Grundlage der interkulturellen Mediation. Neben regelmäßigen
dienstlichen Besprechungen treffen sich die interkulturellen Mediatoren/innen
auch öfter bei einem ‚Stammtisch’, um aktuelle Fragen zu besprechen. Die
Erfahrungen der ersten beiden Jahre zeigen, dass Mediation als alternative Form
der Konfliktvermittlung insgesamt noch nicht so bekannt ist, wie es zu wünschen
wäre. Das Netzwerk wurde am Anfang insbesondere für Partnerschaftsmediationen
angefordert. Zwar gab es auch reichlich Anfragen bezüglich nachbarschaftlicher
Konflikte oder solcher zwischen Einzelpersonen und Institutionen, aber es
mangelte oft an der Bereitschaft der zweiten Partei zu einer Mediation. Das
Problem, auch die zweite Partei zu gewinnen, sehen wir als eine wichtige
Herausforderung. Die Konfliktbearbeitung schon im Vorfeld einer Mediation betrachten
wir als ein wichtiges Aufgabenfeld. Vorgespräche mit den verschiedenen Konfliktparteien
erweisen sich insbesondere im interkulturellen Kontext als sinnvoll, um die
unterschiedlichen Erwartungen der Beteiligten zu erkennen und das Setting der
Mediation vorzubereiten. Die Mediatoren/innen achten dabei selbstverständlich
auf die Wahrung ihrer Neutralität und Allparteilichkeit. Öffentlichkeitsarbeit
ist ein wichtiger Bestandteil des Netzwerkes. Über die Auftaktveranstaltung,
bei der auch ein Rollenspiel aufgeführt wurde, gibt es einen Film. Es wurde ein
Flyer mit den wesentlichen Informationen über das Netzwerk erstellt, eine
Zusammenfassung des Textes wurde in die wichtigsten Sprachen der
Migranten/innen (türkisch, russisch, griechisch etc.) übersetzt. Bei
Stadtteilfesten und bei Veranstaltungen ausländischer Vereine, Bürgervereine,
der Polizei sowie in Dienstbesprechungen einzelner kommunaler Ämter und
Wohnungsbaugesellschaften stellten wir das Netzwerk - meist mit dem Film - vor.
Die Presse berichtete über unser Projekt. Das Netzwerk ist inzwischen bekannter
und die Anfragen mehren sich. Interkulturelle Mediation lohnt sich.
Marissa Pablo-Dürr,
Soziologin, arbeitet bei IN VIA - KOFIZA und Xenos Nürnberg,
E-Mail: konfiza@invia-nuernberg.de
Friedrich Popp,
Geschäftsführer des Ausländerbeirates der Stadt Nürnberg,
E-Mail: friedrich.popp@stadt.nuernberg.de
Literatur:
Georg Albers, Ethno-soziale Konflikte in Deutschland, IZA 3/4 2000,
Frankfurt
Georg Auernheimer, Schulkonflikte in der Einwanderungsgesellschaft, IZA
3/4 2000, Frankfurt
Tarek Badawina, „Hier Moment! Der hat schwarze Haare, der ist anders“ -
Immigrantenjugendliche im Spannungsfeld menschlicher Potenziale und
(Vor)Urteile, IZA 3/4 2000, Frankfurt
Peter L. Berger/ Thomas Luckmann, Die
gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, Fischer Verlag, Frankfurt,
1969.
Christoph Besemer, Mediation, Vermittlung in Konflikten, Karlsruhe u.
Königsfeld 7. Auflage 2000
Christian Büttner/ Elke Kronenbeger/ Elisabeth Stahl, „Mit denen setze
ich mich nicht an einen Tisch!“ Modelle der Streitvermittlung in
multikulturellen Stadtgesellschaften, HSFK-Report 9/1997, Frankfurt
Georg Butterwegge, Rassismus und rassistisch bedingte Konflikte in der
globalisierten Einwanderungsgesellschaft, IZA 3/4 2000, Frankfurt
Jörg Calließ (Hrsg.), Agenda für den Frieden: Interkulturelle Mediation,
Loccum 1999
Stephen Cornell/
Haartmann Douglas, Ethnicity and Race, Thousand Oaks, California, Pine Forge
Press, 1998.
Kurt Faller, Das „Kulturfest der Nationen“, Interkulturelle Mediation in
der Praxis. Eine Konfliktvermittlung zwischen einer türkisch-islamischen und
einer kurdischen Gruppe, IZA 3/4 2000, Frankfurt
Roger Fisher/ William Ury/ Bruce Patton, Das Harvard-Konzept,
Sachgerecht verhandeln – erfolgreich verhandeln, Frankfurt/M. 21. Auflage 2002
Barbara Grotz, Mediation im interkulturellen Kontext, IZA 3/4 2003,
Frankfurt
Friedrich Popp, Anmerkungen zur ‚interkulturellen
Kompetenz’, Nürnberg 2002, www.xenos-nuernberg.de
John Rex , Rasse und Ethnizität als
sozialwissenschaftliche Konzepte, in Dittrich & Radtke, Ethnizität, Opladen 1990
Norbert Ropers, Interkulturelle Mediation. Versprechen oder Möglichkeit=
Begriffliche Klärungen und Problemfelder, in: Jörg Calließ (Hrsg.), Agenda für
den Frieden: Interkulturelle Mediation, Loccum 1999
[*] Neben dem ASD sind Mitarbeiter/innen folgender Institutionen am Netzwerk beteiligt: Amt für Kultur und Freizeit der Stadt Nürnberg, Ausländerbeirat der Stadt Nürnberg, AWO KV Nürnberg, Caritasverband Nürnberg, Evangelische Jugend Nürnberg, Jugendamt der Stadt Nürnberg, KOFIZA - IN VIA e.V., Stadtmission Nürnberg e.V., Xenos Nürnberg